Archäologische Arbeiten am Grundstück von Handl Tyrol abgeschlossen

Wunsch nach zeitgeschichtlicher Aufarbeitung der Kriegsjahre für das gesamte Areal

Das Traditionsunternehmen Handl Tyrol ist im Tiroler Oberland stark verwurzelt und zählt zu den größten Arbeitgebern in der Region. Zur Sicherung eines langfristigen und nachhaltigen Unternehmenswachstums war das Unternehmen auf der Suche nach einem weiteren Standort und wurde schließlich in der Gemeinde Haiming fündig. Dort wird im Sommer 2018 eine neue moderne Speckproduktion eröffnet.

Für das Areal in Haiming hat man sich 2015 nach konstruktiven Gesprächen im Einklang mit der Bevölkerung sowie den Gemeinde- und Behördenvertretern entschieden. 2016 wurden die Grundstücke rechtmäßig von den grundbücherlichen Eigentümern Tiroler Wasserkraft AG, Gemeinde Silz, Gemeinde Haiming sowie den Familien Stigger und Pohl erworben.

Das gesamte damalige Projektareal – von Haiming bis hinein ins Ötztal - hat eine geschichtlich belastete Vergangenheit. Dort waren Geheimprojekte von den Nationalsozialisten geplant: ein Wasserkraftwerk sowie ein Windkanal – beides sollte durch Zwangsarbeiter errichtet werden. Nach entsprechenden Gesprächen mit dem Bundesdenkmalamt im Dezember 2016 und einem ersten groben Überblick über die Aktivitäten von 1942-1945, war für Geschäftsführer Karl Christian Handl klar, dass eine entsprechende Aufarbeitung der Geschichte des Grundstücks im Sinne aller ist: „Wir nehmen unsere Verantwortung für die Geschichte unseres erworbenen Grundstückes sehr ernst und entsprechend wahr. Der respektvolle Umgang mit der Vergangenheit sowie deren wissenschaftliche Aufarbeitung ist uns sehr wichtig.“

In enger Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt wurden durch die Firma Ardis Archäologie die archäologischen Arbeiten durchgeführt. Das Ardis-Team rund um Geschäftsführer Mag. Karsten Wink sammelte bereits entsprechende Erfahrungen im Bereich der zeitgeschichtlichen Archäologie in Bezug auf die NS-Zeit. „Wichtig ist eine wissenschaftlich korrekte Herangehensweise ohne emotionale Hintergründe. Dies ermöglicht eine gute und detailgetreue Dokumentation der Funde und im Nachfeld eine entsprechende Interpretation der Fundstücke“, erklärt Mag. Karsten Wink.

Bevor man vor Ort mit den Grabungen und der Bergung der Quellen begonnen hat, wurde vorsondiert. Luftbilder, die von den alliierten Streitkräften bei Aufklärungsflügen gemacht wurden, zeigen im angesprochenen Bereich zahlreiche Baracken entlang der Bundesstraße, sowie zunächst unbekannte Objekte am nördlichen Hangfuß des Ambergs. Neben den zu erwarteten Fragmenten konnten im Laufe der Arbeiten vor Ort weitere, nicht auf Plänen bzw. Luftaufnahmen sichtbare Funde, dokumentiert und historisch bewertet werden.

Wichtig für die erfolgreichen archäologischen Arbeiten am Areal von Handl Tyrol war für Mag. Karsten Wink die enge und funktionierende Zusammenarbeit mit den vor Ort tätigen Baufirmen und dem Projektleiter von Handl Tyrol. Gefunden wurden Werkstattgebäude und Maschinenhallen, die Talstation der Materialseilbahn, Infrastruktur (Schächte, Kanäle), ein eingetiefter Baukörper, der als Schwimmbad interpretiert wird, ein Schlämmbecken, sowie ein Schulgebäude inkl. Kellerraum mit Tonnengewölbe.

Auf der Hangseite konnten die Fundamente einer Materialseilbahn identifiziert werden, die wohl zum hochgelegenen Lager Amberg führte. Am Gelände befand sich zudem ein Abschnitt der Werksbahn, von der sich ganz im Süden eine Rampe auf ein erhöhtes Niveau erhalten hat. Zwischen den Bauhofbaracken wurden außerdem als Arbeitsgruben angesprochene Betonfundamente aufgedeckt.

Im östlichen Bereich der untersuchten Fläche – direkt angrenzend zur Bundesstraße - wurde in unmittelbarer Nähe zum Zwangsarbeiter- und Kriegsgefangenenlager Haiming-Beinkorb das Betonfundament einer großen Baracke freigelegt, deren Funktion lange Zeit rätselhaft war. An ihrer südlichen Längsfront ist ein tiefer, mit einem massiven Gewölbe versehener Keller ausgegraben worden. Dieses Gebäude diente mit nahezu 100%iger Sicherheit als Schulgebäude und wurde als solches auch in der Nachkriegszeit genutzt.

Zwischen den „Bauhof“-Baracken im Westen und der Schule mit Gewölbekeller im Osten, wurde zudem ein Schwimmbecken ausgegraben, das nicht fertig gebaut wurde. Das Schwimmbecken ist jedoch als nachkriegszeitlich einzustufen, da es auf den Luftbildern vom April 1945 noch nicht zu sehen ist.

Die freigelegten Fundamente der Schule mit dem Gewölbekeller möchte Karl Christian Handl für die Nachwelt erhalten. „Wir möchten den Keller in das Gesamt-Bauprojekt integrieren und erhalten. In welcher Form der Keller für die historische Dokumentation genutzt wird, steht noch nicht fest.“ Gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt, dem Land Tirol sowie den betroffenen Gemeinden und der Tiroler Wasserkraft AG soll die Geschichte des Ambergs komplett aufgearbeitet werden.

„Wir möchten dezidiert festhalten, dass das ehemalige Arbeitslager nicht auf dem Grundstück liegt, auf dem wir unsere neue Speckproduktion bauen“, betont Unternehmer Karl Christian Handl. „Die Investition in die Expansion unserer Firma sichert die langfristige Unternehmensentwicklung, sowie die Zukunft von mehr als 500 Mitarbeitern und ihren Familien. Wir sehen dies als große Chance, dabei mitzuhelfen, die schwere Vergangenheit in Haiming aufzuarbeiten und miteinander in eine positive und konstruktive Zukunft zu gehen.“